Faorschung in der Pandemie
27. Februar 2021
Es ist schwierig geworden, die Schildbürgerstreiche in diesem Land alle im Auge zu behalten. Und doch müssen wir es tun. Es ist unsere Pflicht, weil wir unser Land lieben und die Zerstörung dieses Landes verhindern müssen, wenn wir es lieben.
Der Oberschildbürger unseres Landes ist ein Umetikettierer. Zuerst hat er seine eigene Partei umetikettiert. Ihre schwarze Farbe hat er Türkis überpinselt. Vor ihren Namen hat er ein großes NEU geklebt, aber selbst dieser Aufkleber war schon zwanzig Jahre alt, als er ihn angebracht hat. Dann hat der Umetikettierer ein ebenfalls zwanzig Jahre altes Plakat seines geistigen Vaters Jörg Haider mit dem Slogan Einer, der unsere Sprache spricht genommen und darunter seinen Namen geschrieben: Sebastian Kurz.
Dieser Sebastian Kurz hat Ideen. Unlängst hatte Sebastian Kurz die Idee, einen österreichischen Covid-19-Impfstoff zu entwickeln. Das war NEU von einem Mann, der bisher für Forschung nichts übrighatte und nur Faorschung betrieben hat. Er sei froh, nicht auf Experten gehört zu haben, sagte Sebastian Kurz immer wieder und führte Österreich mit sicherer Hand beim Impffortschritt auf Platz 34 im weltweiten Ranking (Stand 3. März).
Umetikettiert und überpinselt wird dieses traurige Abschneiden durch massive Anfütterung von Medien durch Werbeaufträge und Medienkooperationen der Regierung. Diese Form der Korruption verbessert zwar nicht die Bekämpfung der Pandemie in Österreich, verhindert aber zumindest die faktentreue Berichterstattung darüber. Zudem helfen österreichische Tageszeitungen dem Kanzler, seine Feinde anzugreifen. Zurzeit ist das besonders die Justiz. Ihr Fehler: Sie macht ihre Arbeit. Gerade diese Arbeit, die Aufdeckung von Verbrechen, stört den Umetikettierer sehr. Denn erstens vergisst die Justiz, zwischen normalen Staatsbürgern und ÖVP-Mitgliedern zu unterscheiden. Und zweitens behindert sie die Faorschung in der Pandemie.
Der Umetikettierer vertraut Experten nicht. Dafür vertraut er seinen Vertrauten. Einer von ihnen, Stefan Steiner, sollte jüngst im Ibiza-Untersuchungsausschuss über die hohen Wahlkampfkostenüberschreitungen der ÖVP aussagen, konnte sich aber an nichts erinnern. Solche Gedächtnislücken sind in Österreich wohl bekannt. Auch Finanzminister Blümel hatte sie im selben Ausschuss: Er konnte sich nicht daran erinnern, einen Laptop zu haben. Erst vor einer Hausdurchsuchung ist ihm das schlagartig wieder eingefallen. Die Falschaussage eines Ministers in einem Untersuchungsausschuss ist damit protokolliert (Juristen sagen mir, dass damit laut § 288 StGB der Strafbestand der falschen Beweisaussage erfüllt ist; falsche Aussage in einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates wird dort unter (3) expressis verbis eingeschlossen).
Die Schwägerin von Stefan Steiner, dem Vertrauten des Umetikettierers, ist Verteidigungsministerin Klaudia Tanner. Die Gattin von Innenminister Nehammer, Katharina Nehammer, war früher Sprecherin im Verteidigungsministerium von Frau Tanner. Dann allerdings wechselte Frau Nehammer dorthin, wo alle Talente der ÖVP irgendwann einmal landen: in die Privatwirtschaft. Genauer gesagt wechselte sie, wie die Zeitung Die Presse berichtete, in das PR-Unternehmen des früheren ÖVP-Politikers Gregor Schütze, der auch ORF-Stiftungsrat ist. Die Firma Schütze betreut die Hygiene Austria, die wieder eine Tochter der Lenzing AG und der Palmers Textil AG ist. Der Geschäftsführer von Hygiene Austria heißt Tino Wieser und ist der Schwager von Lisa Wiener. Tino Wieser, Matvei Hutman und Luca Wieser – Ehemann von Lisa Wieser – sind laut Homepage von Palmers die Vorstände der Palmers Textil AG. Lisa Wieser ist laut Homepage des Bundeskanzleramts Büroleiterin des Kabinetts von Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Dass man bei solchen Verhältnissen schon einmal vergessen kann, wer man selbst ist, berichtet Hugo Wiener in Eine verzwickte Verwandtschaft:
Die Gattin meines Vaters hatte auch bald einen Sohn,
Der ist ganz klar mein Enkelkind, na ja, soweit versteh ich’s schon.
Doch da mein Mann der Vater ist von meiner Stiefmama,
Da bin ich jetzt verheiratet mit meinem Großpapa.
Und weil mein Mann mein Großpapa, bin ich sein Enkelkind,
Doch was daran das ärgste ist, ich sag’s auch noch geschwind:
Als Frau von meinem Großpapa – der Fall war noch nicht da,
Da bin ich jetzt natürlich meine eig’ne Großmama!
Hygiene Austria wird laut Kronen Zeitung vorgeworfen, aus China importierte FFP2-Masken umgepackt und in Made in Austria umetikettiert zu haben. Hinzu kommt der Verdacht organisierter Schwarzarbeit. Inzwischen wurde vom Unternehmen zugegeben, dass Teile der Masken aus China stammen. Der Vorwurf der Schwarzarbeit wird zurückgewiesen, während Mitarbeiter allerdings von miserablen Arbeitsbedingungen berichten.
In der Welt des Sebastian Kurz gibt es weder Kompetenz noch Qualifikation, sondern nur Parteizugehörigkeit und Verwandtschaft. Nepotismus und Provinzialismus sind seine Markenzeichen. Egal ob es um das Kaufhaus Österreich, Corona-Hilfspakete oder medizinische Versorgung geht: Stets profitieren Firmen im Umfeld von Parteifreunden, Parteispendern und deren Familien und er selbst tritt dort gerne als Besucher und Patenonkel auf. So hat er Hygiene Austria laut der Webseite der Lenzing AG am 19. Mai 2020 besucht.
Seine Lobesworte für die Firma klingen wie die Sonntagsreden eines Bezirkspolitikers bei der Einweihung eines neuen Feuerwehrschlauches: »Es war schwierig als Bundeskanzler erleben zu müssen, wie angewiesen wir auf das Ausland waren, wie schwierig es war, Schutzausrüstung und Schutzmasken zu bekommen und wie abhängig wir da auf einmal waren. Danke, dass ihr angepackt habt, Mut bewiesen habt, schnell wart, und sicherstellt, dass jetzt eine Produktion Made in Austria möglich ist. Ich bin zutiefst dankbar, stolz auf diesen Unternehmergeist und froh über das Verantwortungsbewusstsein in diesen beiden Traditionsunternehmen. Vielen Dank im Namen der Republik.«
Dass es nun in dieser Idylle möglicherweise Profit aus illegaler Migration und dem Schlepperwesen gibt, passt wohl kommt zum Balkanroutenschließerimage des Umetikettierers. Staatsanwaltschaft und Gerichte werden zu klären haben, ob das so ist. Es gilt die Unmutsverschuldung. Made in Austria ist jedenfalls einmal vom Tisch. Dass der Hygiene Austria ein Wettbewerbsvorteil daraus erwächst, dass Luca Wieser die zukünftige Auftragslage, die von den Corona-Maßnahmen (wie der Maskenpflicht) der Bundesregierung abhängt, direkt und bereits vorab von seiner Gattin erfahren kann und konnte, liegt auf der Hand. Wie profil berichtet war die Hygiene Austria nicht nur über das sogenannte Projekt 65+ informiert, sondern war schon vor der Entscheidung im Ministerrat eingebunden. Fairer Wettbewerb ist das jedenfalls nicht.
Vielleicht sehen wir ja zu schwarz. Oder zu türkis. Vielleicht aber wird nicht nur Schwaz bald aufatmen können, wenn es mit Austrovac wieder gastronomie- und skilifttauglich gespritzt wurde. Und ob es sich dann beim Impfstoff wirklich um das Ergebnis österreichischer Forschung oder nur um Faorschung der Österreicher durch ein von einem Mitarbeiter eines Ehemannes einer Sekretärin der Volkspartei aufgeklebtes Etikett handelt, wird egal sein, wenn wir nur mit dem Impfen weiterkommen.
Ansonsten wird die Balkanroute bald wieder geöffnet werden müssen. Denn aus Serbien hört man, dass die Fortschritte bei der Corona-Impfung dort bedeutend größer sind als in Österreich. Ob wir mit Serbien gleichziehen können, werden wir in den nächsten Wochen, die entscheidend sein werden, erfahren. Ob Sebastian Kurz seine eigene Großmutter ist, wird auch ein Untersuchungsausschuss nie vollständig klären können.