Wort

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Der junge Sportreporter Koschak durfte am 1. Oktober 1980 sein erstes Fußballmatch im Fernsehen kommentieren; das Erstrundenspiel im Europacup der Cupsieger zwischen AGS Kastoria und Dinamo Tiflis. Nach dem Match fragte er seinen älteren Kollegen Edi Kothbauer, ob ihm sein Kommentar gefallen habe. Doch Kothbauer schüttelte den Kopf und sagte, Koschak habe einhundertundeinundneunzig Mal das Wort Ball, einhundertundsiebzig Mal das Wort Pass, einhundertundvierundzwanzig Mal das Wort Tor und – ebenfalls viel zu oft – die Wörter Stange, Latte und Schiedsrichter verwendet. Er solle das nächste Mal anstatt Ball jedes zweite Mal das Leder, anstatt Pass jedes zweite Mal Zuspiel und jedes dritte Mal Vorlage, statt Stange hin und wieder der Pfosten und statt Schiedsrichter manchmal der Unparteiische oder der Mann in Schwarz sagen, auch wenn der Schiedsrichter kein schwarzes Trikot, das er jedes zweite Mal als Dress bezeichnen solle, trage. Das nächste Match kommentierte Koschak bereits zur vollsten Zufriedenheit von Kothbauer und schon nach wenigen Jahren beriet er selbst angehende Sportreporter mit genau denselben Ratschlägen wie sein Mentor. Viele Jahre später, als Koschaks Tochter bereits siebzehn Jahre alt war, erzählte sie beim Abendessen, dass sie vom Deutschlehrer im Gymnasium die Aufgabe erhalten habe, den Anfang des Johannesevangeliums zu lesen, um ein Gedicht von Ernst Jandl interpretieren zu können. Die Tochter schlug an diesem Abend also das Neue Testament auf und las dem Sportreporter Kosak folgende Zeilen vor:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.

»Was grinst du so blöd?«, fragte die Tochter, als sie ihren Vater schmunzeln sah. Der Sportreporter Koschak antwortete: »Ich hoffe nur, dass der Kothbauer das niemals liest!«

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