Clicks, Bewertungen und Followerzahlen
19. Dezember 2024
Schon in meiner Kindheit und Jugend in den Achtzigerjahren hat in unserem Land ein wesentlicher Umbruch der Medienlandschaft eingesetzt. Nachdem man gewohnt war, zwei Fernsehsender und drei Radiosender zu verfolgen, hielten Kabel und Satellit Einzug in die Haushalte. Die Fernbedienung, die bis dahin zum Umschalten von FS1 auf FS2 und zum Lauter- und Leiserdrehen verwendet worden war, wurde zu einer Waffe, die dem Fernschauenden eine nie gekannte Macht verlieh: Er konnte zwischen einer immer weiter wachsenden Anzahl von Sendern wählen.
Das Zappen, das es unnötig machte, Sendungen zu folgen oder sie gar zur Gänze anzusehen, fragmentierte den Medienkonsum und zwang Sendungsmacher, immer schnellere, immer kürzere Formate zu ersinnen, mit ständiger Sensationsmache und Cilffhangern Aufmerksamkeit zu erhalten und sich mit der Konkurrenz zu messen: aber immer nur quantitativ und nicht qualitativ. Die wundersame Vermehrung von Sendern brachte eine lähmende Verknappung und Boulevardisierung der gebotenen Inhalte. Die »Demokratisierung« eines Mediums, von der immer dann gesprochen wird, wenn das Publikum clicken oder umschalten kann, ist in Wahrheit der Beginn einer Diktatur der Quoten, Clicks, Online-Bewertungen und Followerzahlen. In diesem Terror der Quantitäten geht unter, dass die Qualität rapide abfällt; die Kapitalisierung des Angebots macht Konsum und Unterhaltung zu politischer Propaganda.
Die Tyrannei der Intimität von der Richard Sennett spricht – sein großartiges Buch ist erstmals 1974 unter dem Titel The Fall of Public Man erschienen – hat sich durch Digitalisierung und Vernetzung nicht nur weiter bewahrheitet; sie ist heute eine weltweite Diktatur. Diese Diktatur behauptet selbst natürlich demokratisch zu sein, weil die Menschen wählen gehen können. Was aber, wenn sie – wie beim Zappen – wählen können und gar keine Wahl haben?
»Der Wähler hat immer recht!« Dieser Satz, den ich zu allererst 2016 von Norbert Hofer gehört habe, zeigt vor allem sein persönliches Missverstehen politischer Entscheidung. Der Wähler bestimmt in Österreich über die Zusammensetzung des Parlaments und die Person des Bundespräsidenten. Das zu bestimmen bedeutet nicht automatisch recht zu haben. Und es bedeutet schon gar nicht, sachpolitische Entscheidungen zu treffen.
Gerade bei Norbert Hofer und seiner Partei der FPÖ zeigt sich das doppelte Spiel mit der scheinbaren Demokratie am besten. Die FPÖ schreibt direkte Demokratie immer auf ihre Fahnen. Wenn sie aber regiert, ist es damit wieder aus. Als Regierungspartei hat die FPÖ den Kauf der Eurofighter mit verantwortet und den Antrag, darüber eine Volksabstimmung durchzuführen, abgelehnt. Warum? Fürchtete man, der Wähler könnte den Ankauf ablehen und damit »recht haben«? Eine »verpflichtende Volksabstimmung über CETA« propagierte die FPÖ 2017 als »Koalitionsbedingung«. In der folgenden Regierung, der sie angehörte, ratifizierte sie CETA ohne das Volk zu befragen.
Heute steht neben dem kommenden US-Präsidenten Trump bei jeder Rede und auf jedem Foto der reichste Mann der Welt. Wozu Elon Musk den Clown Donald Trump überhaupt noch braucht, weiß man eigentlich nicht. Vermutlich kann Musk nicht alles selber machen. Nur: Wer hat Elon Musk in diese Position gewählt?
Das Spiel mit den Wählern, die angeblich »recht haben« und dem »was die Menschen wollen«, wird gespielt ohne sie zu befragen. So etwa reden uns die Medien ständig ein, die Menschen in diesem Land »wollen keine Reichensteuer«. Das passiert natürlich ohne jedes Plebiszit, als bloße Behauptung oder, indem Boulevardzeitungen getürkte Umfragen oder Ergebnisse von Umfragen mit winzigen Befragungsbreiten abdrucken.
Das geschieht im Interesse einer bestimmten Politik und einer bestimmten Schicht. Denn dass dieselben, die im Falle einer solchen Steuer, mehr Abgaben zu leisten hätten, die gleiche Summe ohnehin für Spenden an Parteien und politisches Lobbying ausgeben, zeigt nur, dass es dabei nicht ums Geld geht. Hier wird eine Politik der Umverteilung verhindert, mit der man mehr Beschäftigung und Kaufkraft schaffen könnte und damit auch die Steuerzahlenden entlasten würde. Diese Politik wird mehrheitlich nicht gewollt? Auf welcher Grundlage wird eine solche Behauptung gemacht?
Das Medienangebot ist ein großes Problem für die Demokratie. Die Diktatur der Clicks hat hier längst Einzug gehalten. In sogenannten Qualitätsmedien werden Artikel von Journalisten nur mehr an der Anzahl von Clicks und Kommentaren bewertet. Logischerweise tendieren sie also dazu, reißerische Themen auszusuchen, die Sprache des Rechtspopulismus unkritisch zu übernehmen und sich einer Aufmachung auszusetzen, die keine Qualität mehr erlaubt. Widerspruch, Antithese, Dialektik und Argumentation – das wären Maßstäbe für Qualität. Doch man hat sie längst aufgegeben. Heute stehen in sogenannten österreichischen Qualitätszeitungen Formulierungen für die man Jörg Haider vor dreißig Jahren noch landauf, landab gescholten hätte.
Die Diktatur der Clicks und öffentlichen Bewertungen hat längst vergessen gemacht, worum es in der Sache geht. Es ist schmerzhaft zu lesen, wie Eltern von Schülerinnen und Schülern Google-Bewertung von Schulen posten und dabei wüsteste Rechtschreib- und Grammatikfehler machen. Sie geben preis, dass man ihnen auf keinen Fall Mitbestimmung beim Unterricht geben sollte. Schlimmer noch ist, dass diese Bewertungen zu einer Waffe geworden sind, die nur zur Rache wegen eines einzelnen persönlichen Ärgernisses gezückt wird. Hier dringt die Intimität in Bereiche ein, wo sie nichts verloren hat. Wenn Schuldirektoren Elternvertreter anrufen müssen, um sie zu bitten, eine positive Google-Bewertungen zu posten, nur weil jemand gerade wieder Dampf über ein Ärgernis in dieser Schule abgelassen hat, dann leben wir in einer Welt, in der Partizipation missbräuchlich ist. Die Verhältnismäßigkeit von Öffentlichkeit und Privatheit ist im Zuge von Digitalisierung und Globalisierung offensichtlich verloren gegangen.
Je weiter der Rückzug in die Intimität und ins Private fortschreitet, desto weniger wird es nötig, Fragen des politischen Diskurses auf einem Parkett auszutragen, das Widerspruch und Dialektik und Aussagen, die komplexer als Slogans sind, überhaupt erlaubt. Mit dem Verfall des Einzelhandels und nun auch der beginnenden Krise der Shopping-Malls droht auch der Konsum völlig im Wohnzimmer zu verschwinden. Dort sitzt der allmächtige Internetuser, der in Wahrheit keine Macht hat. Er wird von der bestehenden Macht als Argument für ihre PR missbraucht. Aber zu sagen hat er nichts.
Der kulturellen Barbarei unserer Zeit geht eine grundsätzliche Bedingung der Demokratie abhanden: Partizipation. Partizipation aber setzt die Wahrnehmung anderer Menschen, ihrer Bedürfnisse und Argumente voraus. Wenn wir uns mit dem Fremden, dem Unabgenehmen, dem Widerspruch, den Anderen nicht mehr auseinandersetzen, wenn wir uns dort abwenden, wo wir etwas Unangenehmes wahrnehmen oder eine Meinung hören, die nicht die unsere ist, dann können wir in keinen wirklichen Diskurs treten. Medien, die solche Diskurse führen, brauchen wir wie einen Bissen Brot. Es muss sie aber auch jemand betreiben und vor allem konsumieren. Der Terror der Clicks, Online-Bewertungen und Followerzahlen führt geradewegs in die Diktatur.
https://zackzack.at/2024/12/19/clicks-bewertungen-followerzahlen-der-moderne-terror