Operette und Tragödie
28. November 2024
Wer erinnert sich nicht an den Cartoon des genialen Manfred Deix, in dem Kurt Waldheim das berühmte Couplet mit dem Refrain »Glücklich ist, wer vergisst …« singt? Die Operette zur Wirklichkeit zu machen ist eine spezielle österreichische Praxis, die die Bedeutung der »Kultur« in unserem Land auf fragwürdige Weise betont. Das oft wiederholte Zitat Marx’ lautet korrekt: »Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.« In Österreich muss man als den Begriff »Tragödie« nur durch »Operette« oder »Satire« ersetzen und »lumpige Farce« durch »lumpige Politik.«
Aber bleiben wir bei der Tragödie. Heute lese ich in den Salzburger Nachrichten: »Pleite von KTM ist „Tragödie” für Zulieferer: Personalabbau und Millionenschaden.« Für wen ist diese Pleite eine Tragödie? Für alle, die Steuern zahlen. Es ist eine Pleite, in die man sehenden Auges gelaufen ist und die durch die von Sebastian Kurz initiierte Verteilung von Millionen an Millionäre ausgelöst wurde. Sie trifft nun nach dem Unternehmen René Benkos auch das von Stefan Pierer. Was haben die beiden gemeinsam? Sie gehören zu jenen Parteispendern, die Kurz von der Hausrevolte in der Volkspartei bis ins Kanzleramt getragen haben.
Dafür haben sie danach die Hand aufgehalten. Es tut mir leid, dass ich dasselbe wieder und wieder sagen muss. Aber in einem Land, dem mindestens drei Qualitätszeitungen und ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, die unabhängig über Politik berichten, fehlen, geht es nicht anders. Die Kurz-Spender waren keine Spender sondern Investoren. Sie wurden von Kurz und seinen beiden Nachfolgern als Kanzler mehrfach großzügig bedient. Der Staat (und damit die Steuerzahlenden) haben ein Vielfaches der Spenden, die an die ÖVP gingen, zurückbezahlt und dabei draufgezahlt. Am Ende folgt die Insolvenz.
Doch wer ist da wirklich pleite? René Benko nicht; er hat seine Stiftungen in Liechtenstein. Und Stefan Pierer wird wohl kaum demnächst beim AMS oder einer Notschlafstelle für Obdachlose auftauchen. Das bedenkenlose Fördern, die Verteilung des Kapitals von unten nach oben, hat fatale Folgen für die österreichische Wirtschaft. Das kommt davon, wenn man sie einer Wirtschaftspartei überlässt.
Die Kurzsche Misswirtschaft wurde weiter befeuert durch seine parteiinterne Personalpolitik. Niemand, der dort Hirn oder Kompetenz besaß, durfte etwas werden – denn Kurz fürchtete alle, die neben ihm Profil, Bekanntheit oder Achtung in den Medien gewinnen hätten können. Und so wurde das Finanzministerium – nachdem es mit Karl-Heinz Grasser, Maria Fekter und Hartwig Löger ohnehin schon mehr Seifenopernniveau als Operettenniveau hatte – durch Gernot Blümel endgültig zur Satire. Er stand wirklich auf der Seife, wie man in Wien sprichwörtlich sagt.
Das Wesentliche daran ist aber eine sehr ernste Sache: Wir sollten uns und müssen uns vor einer Wiederholung schützen. Denn die »lumpige Farce« ist bitterer Ernst. Die Millionärsförderung darf nicht weitergehen. Sie mündet in Insolvenzen, die für die großen Herren hinter den einst hochgelobten Betrieben, lange vorauszusehen waren. Längst hat man seine Schäfchen ins Trockene gebracht. Die Ruinen und Aufräumarbeiten werden, wie auch die vielen Menschen, die man damit arbeitslos gemacht hat, den Steuerzahlenden überlassen.
Sebastian Kurz ist hier nur Paradigma. Sein Aufstieg – die lumpige Farce, die die Wiederholung einer früheren Tragödie war – war aufhaltsam. Diese Tragödie hieß Jörg Haider. Und sie zeigt, wie es medial möglich war, eine Person mit völliger sachpolitischer Inkompetenz zum Genie zu erklären. Jörg Haider, der ein ganzes Bundesland in den Bankrott geführt hat, galt als Gott, als unantastbar.
Wenn ich heute in einer seriösen Zeitung den Satz lese »Sebastian Kurz war ein politisches Talent«, dreht es mir den Magen um. Und wieder und wieder muss ich widersprechen: Nein, Sebastian Kurz war und ist ein Scharlatan. Er ist ein gescheiterter Politiker. Er hat es mit enormem Kapital und den größten Machtbefugnissen, die je ein ÖVP-Chef hatte, gerade Mal geschafft, zwei Legislaturperioden als Kanzler zu beginnen, konnte sie aber nicht ordnungsgemäß beenden. Es gibt keine einzige politische Errungenschaft seiner Kanzlerschaft, so wie auch Jörg Haider nichts hinterlassen hat, für das ihn zukünftige Generationen rühmen könnten.
Aus diesem Grund sei in Zeiten der Regierungsbildung davor gewarnt, die Operetten und Seifenopern der letzten Jahre zu wiederholen. Wir brauchen endlich kompetente Politikerinnen und Politiker, denen es um die Sache geht. Wer nur an seiner Medienpräsenz interessiert ist oder in Ministerien nur Parteipolitik betreibt, ist fehl am Platz. Die kommende Regierung, ob sie nun aus zwei Parteien oder drei besteht, wird es denkbar schwer haben. Sie wird unter dem Dauerbeschuss des Rechtspopulismus und des Boulevards stehen.
Umso wichtiger ist es, dass sie Sachpolitik macht, die herzeigbar ist. Umso wichtiger ist es, dass Medien auch die Ergebnisse dieser Sachpolitik kommunizieren und diskutieren und nicht Geschichten darüber bringen, dass ein Parteichef mit seinen Jüngern auf einen Berg wandert oder sein Hunde-Traum unerfüllt bleibt. Die Medien seien davor gewarnt, den Bullshit aus Parteizentralen unreflektiert zu wiederholen, fingierte Hackerangriffe zu kolportieren und sich als kritiklose Verbreiter der Fiktionen von »Kommunikationschefs« anzubieten. Es muss um Inhalte gehen.
Im Fall der Europäischen Union sehen wir dieser Tage wieder, dass nur über sie berichtet wird, wenn Europawahlen anstehen oder es um Postenbesetzungen in der Kommission geht. Ist das vorbei, hören wir monate- und jahrelang nichts mehr davon, was in der Union diskutiert, getan, entschieden wird. Da ist es ein leichtes für Rechtspopulisten und den Boulevard den Menschen die wüstesten Geschichten über die EU anzurehen und sie zu einem Feindbild zu machen.
In der nationalen Politik ist es ähnlich. Wer die »lumpige Farce« vermeiden will, muss sich fragen, wie es zur Insolvenz von KTM kommen konnte und wie ähnliche Insolvenzen in Zukunft zu verhindern sind. Da darf man nicht wegschauen, sondern muss hinschauen und selbstkritisch sein.
Lernen kann nur, wer eben nicht vergisst. Und es gibt nichts Übleres als die krassierende Selbstgefälligkeit, mit der Politiker heute sagen: »Alles richtig gemacht.« Niemand macht alles richtig.
Wenn die Menschen nicht sehen, dass kompetente und selbstkritische Politiker ernsthaft um ihre Sache bemüht sind, wenn die Menschen nur Boulevard, Operette und Seifenoper geboten bekommen, werden sie auch Wahlen als solche auffassen. Und das tun heute schon sehr viele – viel zu viele.