Afraid of falling down
9. Mai 2024
Man erwarte nicht, dass ich den Zustand des Vortages heranziehe, um den Zustand Österreichs am heutigen Tag zu beurteilen. Das ist die Geschichtslosigkeit und die selbstgewählte Blindheit, mit der die Schundzeitungen und die ständig zu refreshenden Timelines der sogenannten sozialen Medien uns beruhigen wollen. Wer sehen will, kann es und muss es sehen: Seit mehr als sieben Jahren ist dieses Land im Griff einer Macht, die äußerlich österreichische Lebenslügen transportiert, innerlich aber sich teils unter Einhaltung, teils unter Verletzung bestehender Gesetze die Gewalten des Staates und die Gesamtheit ihrer Medien untertan macht.
»Das Volk hängt an Mythen, die seine Lebenslügen sind. Eine Lebenslüge kann armselig, aber wohltätig sein. Deutschland belügt sich selbst […] mit zunehmender Bösartigkeit. Sein Wüten gegen sich selbst ist nur trister geworden.« Diese Zeilen schrieb Heinrich Mann 1936, als sein Pessimismus noch nicht den Höchstwert erreicht hatte.
Innerhalb dieser sieben Jahre ist Österreich im weltweiten Ranking der Pressefreiheit (erhoben von Reporter ohne Grenzen) vom 11. auf den 32. Rang zurückgefallen. Einen Platz vor uns liegt Moldawien, das dieses Jahr mit dem Song In the Middle von Natalia Barbu beim Song Contest antritt. In diesem Song heißt es:
Raise your wings, don’t be afraid of falling down!
Trarara …
Diese Zeilen aus einem Land mit höheren Pressefreiheit als bei uns, können nur ein kleiner Trost sein. Unsere Flügel sind bleischwer. Auf dem 33. Platz im weltweiten Ranking der Pressefreiheit – und damit einen Platz hinter Österreich – liegt Mauretanien. Mauretanien ist ein Land, in dem die Scharia gilt, das Recht also fundamentalistisch ist und in dem die Ausübung anderer Religionen als des Islam gesetzlich untersagt ist. Wenn wir also im nächsten Ranking hinter Mauretanien zurückfallen, wie es sich abzeichnet, dann ist damit nachgewiesen, dass unsere Medien zur Gänze unter autoritärem Diktat stehen.
In Wahrheit haben viele die Lage, in der wir heute sind, über Jahre kommen sehen. Viele haben davor gewarnt. Die Warnungen wurden nicht gehört. Oder sie wurden eben gehört, aber ihnen folgte kein Handeln. Mit jeder Aktion und in Wahrheit Geldverteilungsaktion der Regierung, wie jüngst der sogenannten Digitaltransformationsförderung, wird den Schundzeitungen in diesem Land mehr Geld zugesteckt. Diese bringen täglich Falschmeldungen, um xenophobe, islamophobe und oppositionsfeindliche Inhalte unters Volks zu bringen. Es ist soviel Erfundendes und soviel falsch Dargestelltes dabei, dass Menschen, die diese Falschinformationen analysieren und aufdecken gar nicht damit nachkommen.
Seit 2015, als man während der sogenannten Flüchtlingswelle regelmäßig falsche Inhalte und Horromeldungen lancierte, ist die massenhafte Täuschung der Lesenden und Wählenden in großem Stil im Gange. Nach den Schundzeitungen kommt der ORF, der von der Regierung bereits mehrheitlich mit Parteipolitikern unterwandert ist und in dem heute und jeden Tag vor den Wahlen schnell noch parteipolitisch Posten umbesetzt werden – denn ganz sicher ist die ÖVP nun nicht mehr, dass sie nach den Wahlen im Herbst dazu noch fähig sein wird.
Und in der Abhängigkeit von Regierungszahlungen hat es nun auch Medien erwischt, die einmal freie Medien waren und wohl noch immer darum kämpfen, die aber besonders im Ressort Innenpolitik auf ihren Händen sitzen müssen, bevor sie Artikel über die politischen Zustände in Österreich in ihr Redaktionssystem hochladen.
Da wundert es dann nicht, wenn man über bestimmte Dinge, die in unserem Land vorgehen, gar nichts lesen kann. Menschen, die in kommunistischen Staaten aufgewachsen sind, können einem darüber unendlich viele Geschichten erzählen. Da wundert es nicht, wenn gesetzeswidriges Vorgehen der Ermittlungsbehörden in einem unangenehmen Todesfall nicht thematisiert werden; wenn der Diebstahl und Missbrauch von Daten, die aus Ministerien stammen und in Hände gelangen, in die sie gar nicht gelangen dürften, nicht thematisiert werden; wenn die Todesursache in diesem Fall nicht von den zuständigen Experten, sondern von einem Ex-Kanzler, der wegen Falschaussage vor Gericht steht, und von einer Schundzeitung, die für ihre Behauptungen keine Belege hat, festgestellt wird und die sogenannten Qualitätszeitungen diese bloßen Behauptungen einfach multiplizieren.
Da wundert es nicht, wenn manche sogar einen Schritt weiter gehen, und weitere Nachforschungen und Ermittlungen in diesem Fall als pietätlos bezeichnen. Hier meldet sich wahrscheinlich schon jener religiöse Fundamentalismus zu Wort, der in Mauretanien Staatsgesetz ist und in den auch wir demnächst abgleiten werden. Ja, persönliche Umstände sind nach dem Tod respektvoll zu behandeln, am besten auszuklammern. Aber der Missbrauch von Daten aus Ministerien (die dem Volk gehören), die Manipulation von Verfahren, die den Missbrauch von Steuergeldern aufdecken, Korrpution, Amtsmissbrauch und alles, was die Öffentlichkeit betrifft, der die Regierung und ihre Ministerin für jedes Byte und jeden Cent Rechenschaft schuldig sind, können nicht von der Untersuchung und der Berichterstattung ausgenommen werden. Der Journalismus ist nachgerade dazu da, hier aufzudecken. Und er ist nur eine vierte Kraft, wenn er die Politik durch seine Tätigkeit zum Handeln zwingt.
Noch gilt in Österreich weder die Scharia, noch jener Pietätsfundamentalismus, den sich manche Regierungspartei in Österreich wünscht. Eine jüngste Lokalwahl in Österreich muss ohnehin den Eindruck erwecken, dass gerade ungesetzliches Handeln und Bagatelldelikte die beste Wahlwerbung für Bürgermeister zu sein scheinen. Also: Pietät hin oder her – der Strizzi, der Kleinkriminelle hat jene Qualitäten, die wir uns mehrheitlich wünschen.
Was Demokratie ist, was sie sein und werden soll, ist nicht so einfach darzustellen und sollte in Wahrheit Gegenstand permanenter Diskussion sein. Die Tatsache, dass Wahlen stattfinden, ist keine ausreichende Grundlage für Demokratie. Es beginnt schon dabei, wie die zur Wahl stehenden Listen oder Körperschaften im medialen Diskurs dargestellt werden. Die Verzerrung in diesen Darstellungen (und die vielen Auslassungen) sind uns alle klar. Daraus müsste man aber die richtigen Schlüsse ziehen und danach handeln.
Partizipationsprozesse auf allen Ebenen anzudenken, zu erweitern, zu verbessern – das ist eine wesentliche Voraussetzung für Demokratie, die auch jeden Tag gelebt werden muss und nicht einfach geschrieben steht. Heute sehen wir uns aber keiner zunehmenden Partizipation ausgesetzt, sondern einer oktroyierten Passivität. In dieser Passivtät beobachten wir das Sinken der österreichischen Presse- und Informationsfreiheit unter das Niveau von Pseudo-Demokratien – also Diktaturen. Leider nimmt Mauretanien nicht am Song Contest teil. Vor wem soll Österreich also Vorletzter werden?
Raise your wings, don’t be afraid of falling down!
Trarara …