Polymeros I
24. Juli 2021
Seit Zwentendorf und Hainburg sind Umweltschützer der Meinung, dass die ÖVP ihre Anliegen mehr unterstützt als die SPÖ. Die ÖVP hat sich aber immer nur dann gegen einen Kraftwerksbau ausgesprochen hat, wenn sie meinte, der regierenden SPÖ damit schaden zu können. Bei Zwentendorf war das evident, denn das Kraftwerk war ja im Jahr 1968 von einer ÖVP-Alleinregierung beschlossen worden.
Der Einsatz für den Umweltschutz in der ÖVP ist zum Stillstand gekommen, nein, zum Rückschritt geworden. Da hilft auch keine Zusammenarbeit mit den Grünen. An den schwarz-grünen Koalitionen in Salzburg und in Tirol wurde sichtbar, dass Umweltschutz für diese Regierungen kein Thema ist. Die ÖVP hat sich in allen Bereichen durchgesetzt und fördert den Massentourismus und die Big Player auf Kosten der Bevölkerung und der Umwelt. Die Grünen dürfen mitregieren. Das war’s dann aber auch. Viele nicht parteizugehörige Umweltorganisationen haben die Grünen in Tirol zurecht immer wieder scharf kritisiert.
Die derzeitigen Grabenkämpfe in der Koalition zeigen nur, wie falsch die Einschätzung des früheren Grünen-Chefs Alexander Van der Bellen war, dass die Grünen mehr Gemeinsamkeiten mit der ÖVP als mit der SPÖ hätten. Ministerin Gewessler versucht nun ein wenig Profil zu zeigen. Sie wird sich gegen Kurz, Köstinger und Co. nicht durchsetzen können und es wird höchstens faule Kompromisse geben, wie beim angeblichen Glyphosatverbot, das wieder einmal den Einzelkonsumenten einschränkt, die Großindustrie aber gewähren lässt. Nur: Ökologie, die nicht auf Gleichheit basiert, ist keine Ökologie.
Die dumme Aussage des Bundeskanzlers, die Klimakrise sei ohne Verzicht bewältigbar, zeigt entweder sein völliges Unwissen oder sein völliges Desinteresse an Ökologie. Die Bosse, die Kurz lenken, haben kein Interesse an Ökologie, außer es schaut eine staatliche Förderung für ein Elektroauto für sie heraus, das sie dann als Viertauto neben ihren drei Autos mit Verbrennungsmotor betreiben. Das ist elitäre Ökologie. Umweltschutz als Luxusprodukt. Verlogen, unbrauchbar und sogar den Schadstoffausstoß erhöhend; denn auch der Strom für Elektroautos muss irgendwo herkommen.
Doch außer, dass ständig neue Studien und Bücher entstehen, Diskussionen stattfinden und Erkenntnisse gewonnen werden, ist in den letzten vierzig Jahren nicht viel passiert. Von kapitalistischer Seite versucht man, das ständige Befunden in Gang zu halten, damit es zu keinen Maßnahmen kommt. Das beruhigt konservative und rechte Grüne, die immer noch der Meinung sind, dass Ökologie kein Kampf gegen den Kapitalismus ist, sondern eine Sparte des Kapitalismus, die neue Produkte für Wohlhabende erzeugt.
Längst liegen Statistiken vor, die beweisen, dass die Lkw, die Produkte Tausende von Kilometern zu ihren Bestellerinnen und Bestellern liefern, zu fast fünfzig Prozent leer durch die Welt fahren. Und längst wissen wir, dass diese Art von Konsum genauso wie die zurückgelegten Straßenkilometer der Lkw mit Leichtigkeit um fünfzig Prozent reduziert werden könnten. Doch es interessiert niemanden, auch die Grünen nicht. Wenn ein Transportschiff, das so groß ist, dass es im Suezkanal nicht umdrehen kann, dann dort einmal steckenbleibt und Warenlieferungen nach Europa für einige Tage blockiert, wird bei uns darüber berichtet – zwei Tage lang, dann haben es alle vergessen.
Angeblich gibt es im Pazifik eine Plastikinsel, die vier Mal so groß ist wie Deutschland. Ich frage mich, wieso man diese Plastikinsel nicht zu befestigen versucht. Dann könnte man sie auf Landkarten einzeichnen und bewohnbar machen. Über 300 Millionen Menschen könnten dort leben, auf einem Land, dessen Boden ausschließlich aus den Artikeln zurückgeschickter Amazon- und Zalando-Pakete besteht. Vielleicht müssen zuerst Amerikaner auf der Insel landen und eine Flagge der USA aus Polyethylenterephthalat in den Boden rammen, vielleicht muss zuerst jemand, der eigentlich nach Indien segeln will, dort stranden, um der Insel einen Namen zu geben.
Vielleicht könnten wir aus dem Plastik aber auch einen riesigen Ballen formen und ihn ins All schießen. Ein zweiter Mond aus Plastik wäre auch für die Entwicklung der Gezeiten unserer Meere ein interessantes Experiment. Ich würde ihn Polymeros I nennen – denn möglicherweise folgen ja weitere Monde.
Natürlich ist die Entwicklung alternativer Motoren und auch Computer, die weniger Energie brauchen, wichtig. Aus diesem Grund werden solche Alternativen auch von den Lobbys der Rohstofflieferanten seit Jahrzehnten bekämpft und erfolgreich blockiert. Der Pkw hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht bedeutend weiterentwickelt, außer dass er jetzt einen Computer an Bord hat, der dauernd Fehlermeldungen absondert und uns davor warnt, dass der Beifahrer nicht angeschnallt ist, wenn wir unsere Aktentasche auf den Beifahrersitz gelegt haben. Doch ohne Verzicht geht es bestimmt nicht. Verzicht ist etwas Schönes. Auf dem Verzicht beruht etwa die Höflichkeit. Indem ich jemand anderem den Vortritt lasse, erfreue ich den anderen und mich. Es ist eine Win-Win-Situation.
In der Welt der Profitsteigerer ist jede Geste der Rücksicht und des Verzichts freilich das Lächerlichste und Hinderlichste, das man sich vorstellen kann. Sie werden so lange weitermachen, bis alles Kapital auf der Welt einem Menschen gehört. Dass die Grünen auf dem Holzweg sind, wissen sie. Dass sie in faulen Kompromissen mit ihrem Koalitionspartner ein paar Maßnahmen aushandeln, damit auch sie jene Scheinökologie, gegen die sie einst wie Verve angetreten waren, als Erfolg verkaufen können, wissen sie.
Die SPÖ hat wie auch in der Frage der Gleichberechtigung der Frau auch in der Ökologie eine quälend langsame, und viel zu zahme Entwicklung genommen. Wenigstens hat sie aber eine Entwicklung genommen, was in Zeiten des Rückschritts nicht nichts ist. Die heutigen Rechtsparteien, die ÖVP eingeschlossen, scheiden schon aufgrund ihrer Geldgeber, die das letzte Aufbäumen des fossilen Zeitalters finanzieren (koste es was es wolle!), als ökologische Parteien aus. Plastikinsel und Plastikmond bieten neue Lebensräume. Mit der Virgin Galactic beginnt die Space Migration: Die Reichen wollen ins Weltall. Schießt sie rauf!