Es wird nicht exerziert
1. Mai 2021
In den Achtzigerjahren kam in das Gymnasium, in das ich ging, jedes Jahr ein Offizier des Bundesheeres, um mit uns Schülern das Vorgehen bei einem militärischen Ernstfall zu besprechen. Dieser Mann mit Uniform, Aktenkoffer und Schnurrbart nahm seine Aufgabe durchaus ernst. Jedes Jahr skizzierte er den von ihm angesprochenen Ernstfall und immer handelte es sich dabei um einen Angriff der UdSSR.
Der Zerfall der UdSSR wird dieser Unterrichtseinheit wahrscheinlich ein Ende gemacht haben (zumindest hoffe ich das für die Schülerinnen und Schüler von heute). Leider aber hat er dem österreichischen Bundesheer kein Ende gemacht, einer nutzlosen Institution, deren Kräfte das Land für einen wirklich handlungsfähigen und professionellen Katastrophenschutz besser einsetzen könnte. Und leider wurde bei der Volksbefragung zur Wehrpflicht im Jahr 2013 die falsche Frage gestellt. Denn ein Abschaffen der Wehrpflicht bei gleichzeitiger Einführung eines Berufsheers (wofür sich just SPÖ und Grüne aussprachen) wäre die die noch größere Katastrophe gewesen.
Die Wahrheit ist schlicht: Österreich braucht kein Heer. Es brauchte es schon 1955 – im Jahr seiner Wiedereinführung – nicht, als der Widerstand gegen die Wiederbewaffnung es gerade einmal zu einer Demonstration von sieben Personen brachte. Immerhin trägt H. C. Artmanns damals verfasstes MANIFEST 25 Unterschriften.
wir protestieren mit allem nachdruck
gegen das makabere kasperltheater
welches bei wiedereinführung einer
wie auch immer gearteten wehrmacht
auf österreichischem boden
zur aufführung gelangen würde …
wir alle haben noch genug
vom letzten mal –
diesmal sei es ohne uns!
(Es sei daran erinnert, dass Artmann gezwungen war, im Zweiten Weltkrieg einzurücken und ebenso sein Bruder, der im Krieg den Tod fand.)
es ist eine bodenlose frechheit
eine unverschämtheit sondergleichen
zehn jahre hindurch
antimilitärische propaganda zu betreiben
scheinheilig schmutz und schund zu jaulen
zinnsoldaten und indianerfilme
(noch kleben die plakate …)
als unmoralisch zu deklarieren –
und dann
im ersten luftzug einer sogenannt
endgültigen freiheit
die kaum schulentwachsene jugend
an die drecksflinten zu pressen
Anderswo wurde der Spruch Figl irrt, es wird nicht exerziert auf Fassaden geschrieben. Das Bundesheer kam trotzdem und das erst 17 Jahre nach dem einzigen Ereignis, bei dem Österreich wirklich ein Heer und wirklich Landesverteidigung gebraucht hätte: dem Einmarsch Hitlers im März 1938. Doch die Landesverteidigung versagte, ja, sie war nicht einmal dazu fähig, die Idee des Widerstands gegen die Machtübernahme der Nazis erahnbar zu machen, sondern marschierte mit den Nazis. Wie könnte danach irgendjemand bei Landesverteidigung an etwas anderes als an Scheinheiligkeit denken?
Die Scheinheiligkeit war aber mit der Einführung des Bundesheeres noch lange nicht zu Ende. Das Wahrnehmen der Neutralität erwies sich als Doppelmoral. Amerikanische Überflüge, die schon im Jahr 1958 im Zuge der Libanon-Krise begannen, wurden schweigend hingenommen. Auch im Irakkrieg 1991 kam es zum Transport US-amerikanischen Kriegsgeräts durch Österreich, an die neutralitätswidrigen Überflüge amerikanischer Hercules-Maschinen im Jahr 2003 kann man sich vielleicht noch erinnern. Es wurde nicht einmal diplomatischer Protest eingelegt. Das zeigt wohl, dass auch für diese Befehlshabern Neutralität nur die Haltung gegen die UdSSR und den Warschauer Pakt betraf.
Bemerkenswert ist, dass das Ende des Kalten Kriegs daran nichts ändern konnte. Man beharrt auf einer völlig nutzlosen Körperschaft und die immer wieder geäußerten Vorschläge, wozu man das Bundesheer abkommandieren könne, zeigen nur seine Zwecklosigkeit. Freilich kann man Bundesheersoldaten bei der Paketzustellung, Postsortierung und beim Impfen einsetzen. Wäre es aber nicht besser, Pakete würden von Paketzustellern zugestellt, Post von Postangestellten sortiert und Impfungen würden von ausgebildetem Gesundsheitspersonal durchgeführt? Es wäre nicht nur besser, es ist besser. Man weiß also einfach nicht, wohin mit diesen Soldaten und ist dennoch nicht dazu bereit, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Während in einer Pandemie nötige Spitalsbetten und dringend gebrauchtes Gesundsheitspersonal abgebaut werden, ist es nicht möglich, unnötige Soldaten abzubauen und Kasernen zu schließen und beide für etwas zu verwenden, das den Menschen hilft.
Auch das Abschaffen der Gewissenskommission bei der Zulassung zum Zivildienst hat diesem Missbrauch nicht entgegengewirkt. Ganz im Gegenteil. Der Zivildienst ist nichts anderes als eine nach fragwürdigen Kriterien vergebene Subvention an Organisationen, die damit kostenlose Arbeitskräfte bekommen. Ich habe selbst gesehen, wie Zivildiener in der Pflege und bei Rettungsdiensten Aufgaben übernommen haben, die sie niemals ausführen dürften, weil sie nicht über die entsprechende Ausbildung verfügen. Hier werden also auch Arbeitsplätze vernichtet, die qualifizierte Menschen nicht bekommen.
Warum stehlen wir Achtzehnjährigen die Zeit? Sie könnten arbeiten und damit auch Steuern bezahlen, sie könnten ihre Bildung schneller abschließen und die Gesellschaft würde daran sogar noch gewinnen. Es ist Atavismus. Artmann hat ganz recht.
Weil wir aber Österreicher sind, so klammern wir uns an das Nutzlose. Ich habe in meiner Jugend endlose Diskussionen über das Thema geführt und leider erkennen müssen, dass die Vernunft in dieser Frage nicht mehrheitsfähig ist. Und offensichtlich nützen auch die Grünen in der Regierung nichts. Während unsere Außenminister*innen vor Putin auf die Knie fallen und Trump unterstützen, warten vielleicht irgendwo irgendwelche Grottenolme immer noch auf einen Angriff der UdSSR. Vermutlich keine gut investierte Wartezeit.
https://zackzack.at/2021/05/01/not-a-bot-es-wird-nicht-exerziert