Messages without Control

Messages without Control

3. April 2021

Es tut mir leid, mitteilen zu müssen, dass mein vor Kurzem erschienener Roman Wir bleiben noch Chat-Protokolle mit Emojis enthält. Die meisten dieser Chats führen zwei Verliebte. Wie ein Rezensent bereits festgestellt hat, nervt diese Verliebtheit, man ist zu nahe dran, wird davon peinlich berührt. Das war gerade meine Absicht.

Der Roman spielt in den Jahren 2018 und 2019 spielt und damit auch zur Zeit des Ibiza-Skandals. Dieser Skandal war und ist – wie einige Kommentatoren sehr bald festgestellt haben – kein FPÖ-Skandal, sondern auch ein ÖVP-Skandal. Es hat gedauert, bis diese Erkenntnis bei der Allgemeinheit angekommen ist. Jetzt aber ist es so weit. Jetzt liegen SMS mit Emojis vor, die von Postenbesetzungen handeln. Und von der politischen Steuerung der Presse. Und von der Liebe.

Es ist schwierig, Motive zu finden: Warum müssen Spitzenpolitiker elektronisch kommunizieren und verständigen sich nicht im hintersten Hinterzimmer über ihre Geheimpläne? Naivität? Gleichgültigkeit? Oder der heimliche Wunsch, dass das alles veröffentlicht wird?

Die Nachrichten, die Thomas Schmid, Sebastian Kurz, Gernot Blümel und andere ausgetauscht haben, zeigen vor allem eines: Hier spielen Kinder Politik. Das wäre nicht tragisch, ginge es dabei nicht um Milliarden Steuergeld. Waren die jugendlichen Träume früherer Generationen, politische Macht zu hinterfragen, zu analysieren und umsichtig einzusetzen, so sind die nun sichtbar gewordenen Jugendträume das Gegenteil davon: Affirmation von Macht, Streben nach totalitärer Kontrolle und Manipulation medialer Berichterstattung. Was H. C. Strache vor versteckter Kamera als Vision aussprach und wofür er zurückgetreten ist, findet in den Schmid-SMS de facto statt und wird als ganz normal klassifiziert.

Verstörend dabei sind gar nicht mehr die politischen Methoden, sondern die Offenlegung der Infantilisierung von Ideen- und Gefühlswelt, also dem, was die Psychoanalyse als Regression bezeichnet. Peinlich berührt einen die Benutzung jener Zeichen, deren Verwendung keinen Regeln unterliegt und die angeblich Gefühle zum Ausdruck bringen: die Emojis – allen voran 💪. Peinlich berühren einen die Liebesbekundungen.

Das haben wir davon, dass wir seit Jahrzehnten gegen Politikerprivilegien kämpfen. Präsidenten wohnen nicht mehr in Villen, sie müssen mit der U-Bahn fahren, Finanzminister legen Fake-Accounts an und Bundeskanzler erledigen ihre Korrespondenz wie jeder andere. Sie sind ganz normal. Also schreiben sie schnell und falsch, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Der Blick in diese Köpfe offenbart Leere. Die Herzen aber sind voll: Ich liebe meinen Kanzler, Du bist Familie, mein Riesen Held!!! kann man dort lesen – nebst endlosen 😘. Der Plural wird durch die Mehrfachverwendung ausgedrückt, wobei Thomas Schmid meist 😘😘 schreibt, Sebastian Kurz aber 😘😘😘. Es ist eine Grammatik der Rosen und des Infantilismus. Es ist eben ganz normal.

Im Gegenteil zu Straches nächtlichen Gedankenloops im Ibiza-Video ist die Schmid-AG etwas Handfestes. Das Eindringen einer Zeichensprache aus dem Privatbereich in offizielle Angelegenheiten wird als selbstverständlich empfunden. Auch werden die wirklichen Anliegen, Posten trotz fehlender Qualifikation zu bekommen, Sozialdemokraten aus Gremien zu drängen und für nicht mehr benötigte Parteifreunde Versorgungsposten zu finden, nicht mehr hinterfragt. Hier ist eine Generation am Werk, die ihre politische Positionierung gar nicht mehr herleiten kann, sondern in Parteiorganisationen aufgeschnappt und zu ihrem Dogma gemacht hat. Umso rücksichtsloser können die Agierenden verfahren. Sie sind ja verliebt und wollen viele Herzerl schicken und geschickt bekommen.

Gegen Verliebte kann man nichts machen. Man muss ihr Dauergrinsen ertragen und der einzige Trost ist wohl der Gedanke, dass nichts, schon gar nicht Verliebtheit, ewig andauert. Dass eine Republik, die mit den ernsthaften realen Problemen einer Pandemie, der Massenarbeitslosigkeit und dem leisen Sterben der Demokratie zu kämpfen hat, als Reaktion auf die Veröffentlichung dieser SMS jetzt nicht mehr hervorbringt als Das war schon immer so, Das ist ganz normal, Das haben andere auch so gemacht, ist die viel größere Tragödie.

Das Lächerlichmachen von Politik führt zu jener Destabilisierung, die sich rechte Regierungen wünschen, um die Gewaltentrennung zu überwinden. Was Sebastian Kurz vom Parlament hält, hat er immer wieder klargemacht. Man sieht seine Verachtung dafür auch an seinem Verhalten bei Nationalratssitzungen. Oft ist er in sein Smartphone vertieft und vielleicht denkt er in manchen Augenblicken im Parlament über die Wahl des richtigen Emojis nach. Oft beklagt man die sogenannte Message Control: Politiker*innen geben einstudierte Sätze von sich. In den Schmid-SMS kann man lesen, was sich außerhalb dieses streng kontrollierten Bereichs abspielt. Ich nehme an, dass die SMS-Kommunikation eine Entgleisung ist, die nur im Steinzeitalters des Smartphones passieren konnte. Bald wird auch sie der Message Control unterliegen.

Die homoerotischen Liebesgeschichten voller Emojis, die die mächtigen Männer des postdemokratischen Österreich antreiben, sind dann natürlich nicht vorbei. Sie werden sich aber in sicherere Räume zurückziehen. Die Chats, die jetzt vorliegen, müssen daher jetzt schon als Weltkulturerbe anerkannt werden. Es tut mir leid, mitteilen zu müssen, dass ein Roman mit Emojis genau in unsere Zeit passt. Bilder ersetzen die Sprache. Na und? Wir sind längst sprachlos.

https://www.derstandard.at/story/2000125560650/messages-without-control